DER INZEST
Definition
Inzest betrifft die Blutsfamilie und die erweiterte Familie, sowie die Adoptivfamilie. Aber der familiäre Bezug ist für die Opfer vor allem ein Bezug der Nähe, der Autorität, des Vertrauens, der Abhängigkeit und der Liebe. So können die Täter in der Blutsfamilie Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Grossvater, Grossmutter, Onkel, Tante, Cousin (…), Cousine sein, und in der Stief- oder Adoptivfamilie: Stiefvater, Stiefmutter, Stiefonkel, Stieftante, etc. Selbst ein Altersunterschied von einem Jahr kann zwischen Minderjährigen ausreichen, um einen Bezug der Autorität herzustellen.
Körperlich kann Inzest eine Vergewaltigung sein, also jeder Akt der Penetration durch den Mund (Fellatio), den Anus (Sodomie), die Vagina, der mit einem Körperteil der Täter*innen (Finger/Penis) oder mit einem Gegenstand durchgeführt wird. Inzest kann auch die Form einer sexuellen Belästigung annehmen, bei der die Täter*innen ihren Körper dazu benutzen, um sexuelle Befriedigung zu erlangen, indem sie den Körper des Kindes berühren (gegen das Kind reiben, Cunnilingus, Masturbation). Das Kind kann gezwungen werden, den Täter*innen masturbatorische Handlungen zu ermöglichen und sie zu küssen oder zu berühren, wenn sie es verlangen.
Schweigpflicht und Verleugnung
In jeder menschlichen Gesellschaft ist Inzest ein Tabu. Allerdings variiert von Gesellschaft zu Gesellschaft, was als Verwandtschaft und damit als Inzest gilt. Laut dem Anthropologen Maurice Godelier ist die Vereinigung der materiellen (Blut, Fleisch, Sperma, Haut) und immateriellen (Familienname) Bestandteile durch sexuelle Vereinigung verboten, da ein solcher Überschuss an Ähnlichkeit schlimme Folgen für die Betroffenen, ihre Angehörigen, aber auch für die Reproduktion des allgemeinen gesellschaftlichen Ordnungsgefüges, ja sogar für das Universum haben könnte. Es handelt sich um eine Spannung zwischen der biologischen Blutsverwandtschaft auf der einen Seite und dem Mangel an Vielfalt und der Erweiterung sozialer Beziehungen auf der anderen Seite. Inzest wird in wissenschaftlichen Kreisen als Ausnahmefall theoretisiert, der niemals vorkommen sollte, da er universell und einseitig verboten ist.
Allerdings hat dieses Tabu in Bezug auf die Analyse der strukturellen Machtverhältnisse einen anderen Nutzen für das Funktionieren unserer Gesellschaften: Es dient vor allem dazu, die tatsächlichen Praktiken des Inzests zu verschleiern und zu verbergen, obwohl paradoxerweise die Prävalenzrate sehr hoch ist. Inzest ist also überall, in allen Milieus und zu allen Zeiten. Letztendlich ist es keine Ausnahme, sondern eher die Regel.
Dieses Tabu und diese Leugnung hindern die Opfer daran, sich zu äussern. Im Falle einer Enthüllung wird ihnen manchmal nicht geglaubt, ihre Aussagen werden angezweifelt, sie werden beschuldigt, ihre Umgebung zu zerstören, da dies im kollektiven Bewusstsein immer noch als schreckliche und marginale Praxis betrachtet wird. Letztendlich, wie Dorothée Dussy feststellt:
Zahlen
Strafgesetzbuch
Bibliografie
Cée Cécile (2024). Ce que Cécile sait. Journal de sortie d’inceste. Paris: Marabout.
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RTS (2023). La Suisse mal équipée face à la tragédie de l’inceste. www.rts.ch/info/suisse/14361792-la-suisse-mal-equipee-face-a-la-tragedie-de-linceste.html